Handbuch der Braillenotenschrift
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XIII. Neue Musik


13.1

Wenn immer möglich, sollten die Standardzeichen der Blindennotenschrift beim Übertragen von Noten jeglicher Art verwendet werden. Wird die in diesem Kapitel erläuterte Braille-Notation für moderne Musik benutzt, muss eine Anmerkung des Übertragers im gleichen Band enthalten sein.

 


A. Noten mit unüblicher Form


Zeichen von Tabelle 13A


13.2

Notation neuer Musik unterliegt im Schwarzdruck keinen Richtlinien. Ein rautenförmiger Notenkopf kann stummes Niederdrücken von Tasten, «gehauchte» Flötentöne oder andere «exotische» Dinge angeben. Deshalb richtet sich die Punktschrift nach dem Aussehen der Schwarzdrucknoten und nicht nach ihrer Bedeutung. Wenn eine rautenförmige Note künstliches Flageolett bei Streichinstrumenten angibt (17.20 b) oder wenn in Schlagzeugnoten ein besonderes Instrument durch eine x-förmige Note gekennzeichnet wird (18.16), sollten dafür keine Zeichen von Tabelle 13 verwendet werden. Die in diesem Kapitel erklärten Zeichen sind zur Übertragung ungewöhnlicher moderner Schwarzdrucknotation bestimmt.


13.3

Die Zeichen obenstehender Tabelle können verdoppelt werden, indem ihr zweiter Teil wiederholt wird. ?AA z.B. steht am Anfang einer Reihe schwarzer Notenköpfe.


13.4

Ist kein spezifischer Notenwert ersichtlich, wird der Wert einer Achtelnote verwendet, wie in Beispiel 13.15.


13.5

In Beispiel 13.5 stehen im Schwarzdruck sowohl ganze Noten wie auch schwarze Notenköpfe. Die «ganzen» Noten enthalten nicht die normalen vier Zählzeiten wie in klassischer Musik. Weil aber die Schwarzdrucksymbole mit solchen ganzer Noten identisch sind, werden auch in Punktschrift die üblichen Zeichen für ganze Noten verwendet. In diesem Stück für Posaune gibt es weder Tonart- noch Taktangabe, hingegen erscheinen punktierte Taktstriche (Tabelle 9A) und normale Vortragsbezeichnungen.

Beispiel 13.5

@#L.@P@C<B_(?AA>FCG!
@GLISS."A2>JC_F'C?A!D>;@: K
<B3!Y"A?AAJ"A!G"AF"A!
?A1_D>; K 3[2K
Abb. b1305

13.6

Beispiel 13.6 sind Flötennoten ohne Taktangabe. Im ersten Takt wird Flatterzunge angegeben und mit den üblichen einfachen Brechungszeichen notiert. Takt 3 enthält rautenförmige Noten. Infolge der unterschiedlichen Zählzeiten in jedem Takt werden die 32stel-Noten in Punktschrift nicht gruppiert. Die Bindebogen zeigen jedoch die Gruppierung deutlich an.

Beispiel 13.6

@\L.@PPP!7>,C2F>, @PP'2,(1<^==
  @PPP<B?LL$PC"A3RC"AT!
  <NC"APC"ARC"A?L2T>;2K
Abb. b1306

13.7

Beispiel 13.7, aus dem gleichen Flötenstück, zeigt x-förmige Noten. Gemäss den Anweisungen zur Ausführung sind dies «Klappenschlag»-Noten. Jeder Hinweis zur Ausführung muss natürlich auch in der Übertragung enthalten sein.

Beispiel 13.7

@SF.(($($(?BB$ZM@SF$YM!
  @SF.2!]M@SF.2!^M!
  @SF.($(?B!%M2K
Abb. b1307

13.8

In Beispiel 13.8 stellen die 20 Notenhälse offensichtlich mehr als nur die 14 möglichen Halbtonschritte zwischen Anfangs- und Endnote dar. Durch enharmonische Notierung kann der Übertrager die beabsichtigte Wirkung vermitteln, ohne dabei zu bestimmen, welche Vierteltöne gespielt werden sollen. Dies wird dem Ausführenden überlassen. Eine Fussnote in der Übertragung sollte erklären, dass die Tonhöhen in Punktschrift sowie die Notenhälse im Schwarzdruck nur ungefähre Angaben darstellen. Die schräge Linie durch den Anfang der Gruppe ist eine moderne Schreibweise für kurze Vorschläge.

Beispiel 13.8

@SPICCATO@MF@D.??(<(2$H!
?KK_2HGF3E2F1E3D2E1DJ3I2J1I!
3H2I1H3G2H1G?KF@P.?(2!F2K
Abb. b1308

13.9

In Beispiel 13.9 wird das Ende der schrägen Linie als Quasinote mit ungefährer Tonhöhe angegeben. Wäre ein Taktwert angegeben, könnte die Länge des Glissando mit Einklangzeichen oder mit Hilfe eines Stimmenzeichens verdeutlicht werden. Dieses Beispiel enthält einen gestrichelten Taktstrich sowie Schlüsselzeichen. In Ermangelung einer Taktangabe steht das Zeichen für kleinere Notenwerte vor den 32stel-Noten.

Beispiel 13.9

@#L.@D.?A_EC"A?A3D"A!
@GLISS. TR^S LENT@ ?.>G@/ K
@0!L'2,(1!T(T2K
Abb. b1309

 


B. Clusters


Zeichen von Tabelle 13B


13.10

Im Schwarzdruck ist ein Cluster ein dicker Strich oder eine andere graphische Form zwischen zwei Noten eines Akkords. Er gibt an, dass alle dazwischenliegenden Noten zugleich gespielt werden. Manchmal stehen ein oder mehrere Versetzungszeichen dabei. In Punktschrift wird ein Cluster als Akkord übertragen, daher steht das entsprechende Zeichen zwischen der ausgeschriebenen Note und dem Intervallzeichen. Clusterzeichen bestehen aus drei Teilen. Die Punkte 4·5 > zeigen den Beginn an, gefolgt von den dem Schwarzdruck entsprechenden Versetzungszeichen; falls keine vorkommen, werden die Punkte 2·6 ? eingeschoben. Das Zeichen endet mit den Punkten 1·2 B.


13.11

Ein Cluster-Zeichen kann durch Wiederholung des letzten Zeichens verdoppelt werden, z.B. >2BB.


13.12

Im folgenden Beispiel ist im Schwarzdruck jeder Cluster anders notiert. In a) steht ein doppelseitiger Pfeil parallel zum Notenhals zwischen dem D und seiner unteren Quint. Unmittelbar links vom Pfeil stehen ein Kreuz und ein Auflösungszeichen, daher sind in Punktschrift beide Versetzungszeichen im Clusterzeichen enthalten. In b) umschliessen zwei Notenhälse den Raum zwischen den beiden Noten F und verdeutlichen so den Cluster. Weder im Schwarzdruck noch in Braille stehen Versetzungszeichen. In c) verbindet ein dicker, senkrechter Strich die beiden Noten zu einem Cluster. Ein Kreuz steht vor dem grossen A und ein Auflösungszeichen vor dem kleinen A; deshalb stehen diese beiden Versetzungszeichen vor den betreffenden Noten und sind nicht Teil des Clusterzeichens.

Beispiel 13.12

a) $@$5>31B* Abb. b1312a
b) $@$Q>?B- Abb. b1312b
c) _@.3>S>?B1- Abb. b1312c

 


C. Fächerförmig gebalkte Notengruppen


Zeichen von Tabelle 13C


13.13

Wenn die Balken einer rhythmischen Notengruppe im Schwarzdruck nicht parallel, sondern fächerförmig erscheinen, werden die Noten dieser Gruppe als Accelerando oder Ritardando ausgeführt. Übliche Notenwerte werden verwendet, aber vor der Gruppe steht das Zeichen für Accelerando oder Ritardando und das Ende der Gruppe wird mit dem Zeichen von Tabelle 13C angezeigt. Beginnt die Form als ein Balken, der dann auf die folgenden Noten ausfächert, bedeutet dies Accelerando, die umgekehrte Fächerform hingegen Ritardando.

Beispiel 13.13

@MF@C>2,'2,_(>I_&%((SSSS<K!
X@F>2,'2,_I^SS<KX!
@FF'2,>2,_S^(I<K2K
Abb. b1313

13.14

Ändert sich die Fächerform innerhalb einer rhythmischen Gruppe, bevor die Verbindungsbalken enden, werden an der Stelle, wo die Änderung stattfindet, obenstehende Zeichen gesetzt. Verlaufen im Schwarzdruck die Balken parallel, wird das Zeichen für gleichbleibendes Tempo verwendet. Beispiel 13.14 stammt aus einem Stück für Bajan. Zwischen dem ersten und letzten Akkord stehen im Schwarzdruck nur Notenhälse, daher wird das Zeichen für senkrechte Striche verwendet und verdoppelt.

Beispiel 13.14

@#L>2,'2,>F\\002##?KKF&&PPPPPP!
'2,'2,PPPPPPPPPPPP'2,>2,PPPP!
&&?KFF\02#<K2K
Abb. b1314

 


D. Weitere Zeichen


Zeichen von Tabelle 3A und B


Zeichen von Tabelle 10


13.15

Die in diesem Teil des Kapitels beschriebenen Zeichen sind nicht ausschliesslich auf neue Musik beschränkt. Obwohl sie in zeitgenössischen Kompositionen häufiger anzutreffen sind, sollen sie überall, wo der Schwarzdruck es verlangt, verwendet werden.


13.16

Die Alteration einer Tonhöhe um einen Viertelton ist keine neuzeitliche Erfindung. Sie soll an dieser Stelle erläutert werden, weil sie in moderner Notation häufiger anzutreffen ist als in klassischer. Die Schwarzdrucksymbole sind unterschiedlich: nach oben oder unten zeigende Pfeile oder bestimmte Mikrointervalle bezeichnende Zahlen und anderes mehr ist anzutreffen. Ein häufiges Symbol für eine Viertelton-Erhöhung ist ein Kreuz mit einem einzigen senkrechten Strich. Für eine Dreiviertelton-Erhöhung wird ein Kreuz mit drei senkrechten Strichen verwendet. In diesem System zeigt der Schwarzdruck das Symbol für eine Viertelton-Erniedrigung als umgekehrt gedrucktes Be. Glücklicherweise sind diese Symbole meistens mit Fussnoten oder Erläuterungen versehen. Solche Informationen, wie auch die dazugehörigen Punktschriftzeichen, müssen in der Übertragung erscheinen. In Beispiel 13.16 verwendet der Schwarzdruck kleine Pfeile samt einer Fussnote zu ihrer Erklärung. Ausgaben für blinde Lehrer sollten auch eine Beschreibung der Schwarzdrucksymbole enthalten.

Beispiel 13.16

@?*"2!EC"A"2Q..2K
  @?* #A VIERTELTON TIEFER
Abb. b1316

13.17

Unübliche Fermatenzeichen haben von Komponist zu Komponist unterschiedliche Bedeutung. Die «viereckige» Fermate ist als «sehr langes Verweilen», von gewissen Komponisten aber auch als «kurzes Innehalten» verwendet worden. Dasselbe trifft zu für die «dreieckige» Fermate. Aus diesen Gründen repräsentiert die Brailleschrift die Form und nicht die Bedeutung. Die Ankündigungszeichen für eine Fermate auf einem Taktstrich (Punkte 4·5·6) oder für eine Fermate zwischen Noten (Punkt 5) können diesen Zeichen beigefügt werden, wie untenstehendes Beispiel verdeutlicht.

Beispiel 13.17

@#L.@MF@C.?2>JCF!<2L?ICF!<2L!
?2JCF!<2L?3GCF@D.?>HCF!<2L!
?2JCF?ICFX?3GCF@/ K_<2L ...2K
Abb. b1317

13.18

Erscheint eine Note in einer Taktangabe, so stehen die Punkte 6-3 davor. Die Note c dient zur Angabe des im Schwarzdruck angezeigten Wertes. Die erste Taktangabe in untenstehendem Beispiel ist eine 3 über einer punktierten Sechzehntelnote. Die nächste ist eine 4 über einer punktierten Sechzehntelnote. Das Beispiel stammt aus einem Solo für Kontrabass.

Beispiel 13.18

         #C'.'2,Y.
@#L.1!Z.3%.Z. #D'.Y. _(1!H.!
2_H.C 2J._(D.2K
Abb. b1318

13.19

Weitere unübliche Schreibweisen sind zwei nebeneinanderstehende Taktangaben und solche, die mit mehrteiligem Zähler notiert sind. Diese Zahlen sind manchmal durch ein Leerfeld getrennt, manchmal auch durch ein Pluszeichen oder durch einen Bindestrich. Meistens folgt man dem Schwarzdruck. Für die Pluszeichen verwendet jedes Land sein eigenes Zeichen. Beispiel 13.19 zeigt zwei Fälle. Im ersten stehen zwei Taktangaben nebeneinander, im Schwarzdruck sowie in Punktschrift. Im zweiten ist die Taktangabe 4 plus 2 plus 3 über einer 8.

Beispiel 13.19

2#D/#C; Abb. b1319a
#D+B+C( Abb. b1319b

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